Ihr Recht auf Streik: 12 Rechtsmythen rund um den Arbeitskampf
Um bessere Karten bei Tarifverhandlungen zu haben, greifen Gewerkschaften häufig auf ihr Ass im Ärmel zurück: den Streik. Viele Arbeitnehmer sind sich dabei gar nicht bewusst, wann sie sich eigentlich an der Arbeitsniederlegung beteiligen dürfen und mit welchen Folgen sie unter Umständen rechnen müssen. Hier erfahren Sie alles zu Ihren Rechten und Pflichten während eines Streiks.
Streik: Das Wichtigste in Kürze
Unter einem Streik versteht man die kollektive Niederlegung der Arbeit durch die Arbeitnehmer.
Ziel des Streiks ist das Aushandeln besserer Konditionen im Tarifvertrag (verkürzte Arbeitszeiten, höhere Löhne etc.).
Das Recht auf Streik ist in Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) verankert.
Ist ein Streik rechtmäßig, darf ein Arbeitgeber nicht mit einer Abmahnung oder Kündigung reagieren. Allerdings entfällt bei der Arbeitsniederlegung der Lohnanspruch.
Wann darf gestreikt werden?
Der Streik ist ein wichtiges Druckmittel im Arbeitsrecht: Damit Arbeitnehmer, die beim Streik durch Gewerkschaften vertreten werden, bei Tarifverhandlungen nicht waffen- und chancenlos dastehen, sieht das Grundgesetz in Artikel 9 Absatz 3 das Recht auf Arbeitsniederlegung als Grundrecht der Koalitionsfreiheit vor. Laut Bundesarbeitsgericht würde eine Tarifverhandlung ohne Streikrecht nichts anderes als „kollektives Betteln“darstellen.
Trotz dieses Grundsatzes dürfen Sie als Arbeitnehmer Ihren Arbeitsplatz nicht einfach so aus Protest verlassen. Dies würde einen Akt der Arbeitsverweigerung darstellen, weshalb Sie mit Sanktionen wie einer Abmahnung oder sogar einer Kündigung rechnen müssten. Ein Streik will gut und vor allem offiziell organisiert sein. Für einen rechtmäßigen Arbeitskampf gelten die folgenden Bedingungen:
- Der Streik muss von einer Gewerkschaft getragen werden. Wird er nicht von dieser ausgerufen, spricht man von einem unzulässigen wilden Streik.
- Das Ziel der Arbeitsniederlegung muss tariflich regelbar sein. Das bedeutet, dass die Arbeitnehmer sich mit dem Streik klar für bessere Arbeitskonditionen einsetzen müssen. Ein Streik, der politische Ziele verfolgt und Druck auf ein politisches Organ ausüben soll, ist unzulässig.
- Das Ziel muss tarifrechtlich zulässig sein. Es dürfen also keine Ziele verfolgt werden, die von vornherein aufgrund gesetzlicher Regelungen ausgeschlossen sind. Ein Beispiel: Im Jahr 2007 wehrte sich die Deutsche Bahn gegen einen Streik indem sie argumentierte, dass der angestrebte Lokführertarifvertrag mit einem bereits existierenden Tarifvertrag zwischen der Bahn und der Gewerkschaft Transnet rechtlich nicht vereinbar wäre.
- Der Streik darf erst nach Ablauf der Friedenspflicht beginnen. Dabei handelt es sich um einen Zeitraum, der von den Tarifparteien zuvor festgelegt wird. Für die Dauer der Friedenspflicht muss auf Arbeitskampfmaßnahmen verzichtet werden.
- Es gilt das Ultima-Ratio-Prinzip: Der Streik muss also das letzte Mittel sein. Wurden zuvor keine ordentlichen Verhandlungen geführt, ist der Streik nicht rechtens.
- Der Streik muss verhältnismäßig sein. Die Arbeitnehmer und Gewerkschaften dürfen sich also nicht zum Ziel setzen, dem Arbeitgeber oder dem Arbeitgeberverband einen zu großen wirtschaftlichen Schaden – beispielsweise die Insolvenz – zuzufügen. Dementsprechend gilt auch, dass nicht aufgrund einer Lappalie gestreikt werden darf. In der Praxis werden Streiks allerdings nur in den seltensten Fällen als nicht verhältnismäßig deklariert: Immerhin haben die Arbeitnehmer nichts davon, wenn das Unternehmen infolge der Arbeitsniederlegung Bankrott anmelden muss.
Neben diesen inhaltlichen Konditionen, müssen auch formale Ansprüche erfüllt sein. So muss zunächst eine Urabstimmung stattgefunden haben, bei der sich mindestens 75 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für die Arbeitskampfmaßnahme ausgesprochen haben. Danach muss ein Beschluss zur Abhaltung des Streiks gefasst werden, der vom Hauptvorstand oder Vorsitzenden der Gewerkschaft genehmigt und schließlich bekannt gegeben werden muss.
Bevor es an die eigentliche Arbeitsniederlegung geht, rufen viele Gewerkschaften zunächst zum Warnstreik auf. Dieser ist von vornherein zeitlich begrenzt, beispielsweise auf ein paar Stunden, einen Tag oder ein Wochenende. Bleibt dieser erfolglos, kann in einen unbefristeten Streik getreten werden.
Die 12 größten Rechtsmythen zum Streik
1. Wenn ich rechtmäßig streike, bekomme ich weiterhin Lohn.
Nein, wenn der Angestellte die Arbeit im Rahmen eines Arbeitskampfes einstellt, muss der Arbeitgeber seinen Lohn nicht weiter zahlen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Streik rechtmäßig ist oder nicht.
Ganz ohne finanzielle Mittel stehen Angestellte bei einer offiziellen Arbeitsniederlegung aber nicht da: Die Gewerkschaft springt durch die Streikkasse finanziell ein und kompensiert so den entfallenen Lohn zu großen Teilen. Wie hoch das Streikgeld ausfällt, hängt dabei von der Gewerkschaft ab. Häufig liegt es etwas unter dem Nettolohn.
Wollen Sie Streikgeld beantragen, sollten Sie sich am besten bei Ihrer Gewerkschaft melden. Häufig müssen sich streikende Arbeitnehmer täglich in Streiklisten eintragen, welche im Streiklokal ausliegen, um den Anspruch geltend machen zu können. Es kann allerdings auch sein, dass das einmalige Ausfüllen eines Online-Formulars reicht.
2. Wenn ich mich nicht am Streik beteiligen will, muss mein Arbeitgeber mich weiterhin beschäftigen.
Nein, denn auch dem Arbeitgeber oder dem zuständigen Arbeitgeberverband werden vom Gesetz gewisse Waffen im Arbeitskampf an die Hand gegeben. Eines der wichtigsten Rechte des Arbeitgebers ist dabei die sogenannte Aussperrung: Dabei werden auch Arbeitnehmer, die eigentlich arbeiten wollen, nicht weiter beschäftigt. Ihr Lohnanspruch entfällt dann.
Die Aussperrung dient regelmäßig dazu, mehr Druck auf die Gewerkschaften auszuüben und die Dauer des Arbeitskampfes zu verkürzen. Für die Gewerkschaft ist die Aussperrung dahingehend problematisch, als dass die Ressourcen aus der Streikkasse nicht ewig reichen. Sind diese aufgebraucht, erhalten streikende Arbeitnehmer weder Lohn noch Streikunterstützung. Zudem werden durch die Aussperrung auch eigentlich Unbeteiligte in Mitleidenschaft gezogen: Arbeitnehmer, die nicht in der Gewerkschaft organisiert sind und eigentlich arbeiten wollen, erhalten aufgrund der Aussperrung weder Lohn noch anderweitige Unterstützung.
Es gelten allerdings im Grunde dieselben Konditionen wie bei der eigentlichen Arbeitsniederlegung: So muss auch die Aussperrung verhältnismäßig sein und sie darf nur das letzte Mittel darstellen.
3. Als Arbeitnehmer muss ich selbst prüfen, ob der Streik rechtmäßig ist.
Nein, wenn die Gewerkschaft offiziell zum Streik aufruft, müssen Sie selbst nicht aktiv werden und sich erst erkundigen, ob die oben genannten Bedingungen erfüllt sind und der Streik damit rechtmäßig ist. Es gilt hier die sogenannte „Vermutung der Rechtmäßigkeit“, was bedeutet, dass der Arbeitnehmer davon ausgehen darf, dass der Arbeitskampf rechtens ist.
4. Wenn ich mich am Streik beteiligen will, muss ich meinen Chef darüber informieren und ausstempeln.
Nein, wenn Sie sich am Streik beteiligen wollen, müssen Sie Ihren Arbeitgeber nicht zuvor darüber in Kenntnis setzen. Sie müssen sich also nicht abmelden. Die Frage, ob Arbeitnehmer ausstempeln müssen, war lange umstritten, doch das Bundesarbeitsgericht betonte im Jahr 2005, dass ein Streik in der Freizeit seinen Sinn verfehle. Aus diesem Grund muss auch nicht ausgestempelt werden (Az. 1 AZR 133/04).
5. Ein Streik ist ein Streik: Ich muss mich also auch nicht am Notdienst beteiligen.
Es gilt, dass bei einem Streik niemand zu Schaden kommen darf, weshalb sich die Gewerkschaft in einigen Branchen – beispielsweise in der Pflege oder auch im Personenverkehr – um einen Notdienst kümmern muss. Sind Sie darin eingetragen, müssen Sie diese Schicht auch antreten.
6. Wenn ich auf dem Weg zum Streiklokal verunglücke, zählt das als Arbeitsunfall.
Nein, denn wenn Sie die Arbeit im Rahmen eines Streiks niederlegen, entfällt der Unfallschutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Gut zu wissen: Neben dem Entfall des gesetzlichen Unfallschutzes gibt es noch weitere Faktoren, die viele Arbeitnehmer bei einem Streik nicht bedenken. So bleibt zwar beispielsweise die Rentenversicherung bestehen, doch fehlen anrechnungsfähige Versicherungszeiten. Kurzum: Da Sie während der Arbeitsniederlegung keine Beiträge zahlen, kann sich dies negativ auf Ihre Rente auswirken. Sprechen Sie in einem solchen Fall am besten mit Ihrer Gewerkschaft und regeln Sie alles vorab: So können Sie sich selbst vor unliebsamen Überraschungen schützen.
7. Ich habe vor dem Streik Urlaub beantragt und kann deshalb nicht daran teilnehmen.
Wenn Sie bereits vor dem Streik Urlaub beantragt haben, können Sie Ihrem Arbeitgeber trotzdem Ihren Wunsch zur Teilnahme am Streik erklären. Stellen Sie den Antrag auf die Rücknahme Ihres Urlaubs am besten schriftlich und bitten Sie um eine schriftliche Bestätigung. So kann Ihnen im Nachhinein kein Strick daraus gedreht werden.
Wenn Sie Ihren Urlaubsantrag zurücknehmen, bestehen die Urlaubstage weiterhin. Allerdings entfällt dann – wie bei allen anderen Streikteilnehmern – Ihr Lohnanspruch.
8. Wenn ich streike, kann ich Arbeitslosengeld beantragen.
Nein, denn die Bundesagentur für Arbeit ist gemäß § 160 Drittes Sozialgesetzbuch (SGB III) dazu verpflichtet, sich aus Arbeitskämpfen herauszuhalten. Aus diesem Grund darf das Jobcenter als Einrichtung der Bundesagentur Ihnen während des Streiks keine Leistungen zur Verfügung stellen.
9. Wenn ich während des Streiks erkranke, habe ich Anspruch auf Entgeltfortzahlung.
Hier ist zu unterscheiden, ob Sie sich am Streik beteiligen oder nicht.
Wenn Sie sich am Streik beteiligen, entfällt Ihr Lohnanspruch. Mit diesem entfällt auch der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Wenn Sie sich nicht am Streik beteiligen, entfällt Ihr Lohnanspruch in der Regel nicht. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall besteht also weiterhin.
Eine wichtige Ausnahme ergibt sich aber dann, wenn die Beschäftigung aufgrund des Streiks nicht möglich ist. Dies entschied das Landesarbeitsgericht Nürnberg im Jahr 2010: Ein Busfahrer, der sich nicht am Streik beteiligen wollte und am Tag der Arbeitsniederlegung zufällig erkrankt war, musste für diesen Tag nicht gemäß Entgeltfortzahlungsgesetz bezahlt werden. Der Grund dafür war, dass es streikbedingt an diesem Tag gar keine Aufgaben für ihn gegeben hätte (Az. 5 Sa 666/09).
Gut zu wissen: Wenn Sie sich am Streik beteiligt haben und dann krank werden, besteht zwar kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung, aber möglicherweise steht ihnen Krankengeld zu. Sie sollten sich in einem solchen Fall umgehend mit Ihrer Krankenkasse in Verbindung setzen.
10. Nur gewerkschaftliche organisierte Mitarbeiter dürfen streiken.
Nein, auch Mitarbeiter, die nicht in der Gewerkschaft sind, dürfen die Arbeit niederlegen, wenn eine Gewerkschaft offiziell zum Streik in ihrem Betrieb aufruft. Allerdings sollten sie sich diesen Schritt gut überlegen: Zwar kann der Arbeitgeber auch in diesem Fall keine Abmahnung oder Kündigung aussprechen, doch entfällt der Lohnanspruch und im Gegensatz zu gewerkschaftlichen Mitarbeitern haben andere Angestellte keinen Anspruch auf Streikgeld. Eine Arbeitsniederlegung geht also höchstwahrscheinlich mit gravierenden finanziellen Einbußen einher.
11. Nur Vollzeitangestellte dürfen streiken.
Nein, streiken darf jeder – auch Teilzeitangestellte und Minijobber. Auch Praktikanten und Azubis dürfen grundsätzlich streiken, doch kann es sein, dass die Gewerkschaft selbst diese Personengruppen vom Streik ausschließt. Grund dafür ist, dass in diesem Fall das Ausbildungsverhältnis beziehungsweise Praktikum im Vordergrund steht und nicht so sehr die eigentlichen Arbeitsbedingungen.
Selbst Leiharbeiter dürfen die Arbeit niederlegen, wenn in ihrem Betrieb gestreikt wird. Hier kann es allerdings sein, dass der Verleiher seine Angestellten für die Dauer des Arbeitskampfes an einen anderen Arbeitsplatz versetzt, an dem nicht gestreikt wird. Es gilt auch, dass Arbeitgeber bei einem Streik nicht einfach auf Leiharbeiter zurückgreifen dürfen: Diese dürfen während eines Arbeitskampfes nur eingestellt werden, wenn der Entleiher belegen kann, dass Sie nicht die Tätigkeiten von im Streik befindlichen Mitarbeitern übernehmen.
12. Betriebsratsmitglieder dürfen nicht streiken.
Gemäß § 74 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) sind Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nicht zulässig. Ein Betriebsratsmitglied hat alles zu unterlassen, was dem Betriebsfrieden schadet.
Allerdings ist ein Mitglied des Betriebsrats auch ein Arbeitnehmer. Als dieser darf er sich – wie jeder andere auch – am Streik beteiligen. Nicht selten sind Betriebsratsmitglieder auch Gewerkschaftsmitglieder: In dieser Funktion ist es ihnen sogar erlaubt, einen Streik auszurufen. Das Streikverbot zielt lediglich auf die Funktion als Betriebsrat ab, nicht aber auf die Person an sich - auch wenn Funktion und Person in der Realität zugegebenermaßen nur schwer voneinander zu trennen sind.