AVR: Arbeitsvertragsrichtlinien als Tarifvertrag bei kirchlichen Arbeitgebern

Für Angestellte der katholischen und der evangelischen Kirche in Deutschland gibt es keinen geltenden Tarifvertrag. Stattdessen halten sich die meisten kirchlichen Arbeitgeber an sogenannte AVR – Arbeitsvertragsrichtlinien. Was das genau ist, wie sie sich von einem Tarifvertrag unterscheiden und was es für Sie bedeutet, wenn Ihr Arbeitsvertrag AVR erwähnt, lesen Sie hier.

Autor:  Redaktion DAHAG Rechtsservices AG.

Wer sich bei den diakonischen Werken oder der Caritas bewirbt und sich gegen alle anderen Kandidaten durchsetzt, wird in seinem Arbeitsvertrag ziemlich sicher etwas von „AVR“ lesen. Diese sogenannten Arbeitsvertragsrichtlinien regeln die allgemeinen Arbeitsbedingungen und enthalten auch Gehaltstabellen. Insofern sind sie einem normalen Tarifvertrag sehr ähnlich. Dass sie dennoch einen anderen rechtlichen Status haben, liegt an der Stellung der Kirchen in Deutschland. Deren garantierte Unabhängigkeit wirkt sich auch auf die arbeitsrechtlichen Bedingungen aus.

 

Wie entstehen AVR?

Kommissionen legen die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) fest. Das Besondere daran: In diesen Kommissionen arbeiten ebenso viele Arbeitgebervertreter wie Arbeitnehmervertreter mit. Konkret bedeutet das also, dass nicht allein der Chef Arbeitsbedingungen und Gehalt diktiert, sondern die Mitarbeiter die Rahmenbedingungen mitgestalten. Dabei kann grundsätzlich alles in einer AVR geregelt werden, was das Arbeitsverhältnis betrifft – von den Vergütungsgruppen und –stufen über Urlaubsansprüche und Arbeitszeitregelungen bis zu den Kündigungsbedingungen.

Der dritte Weg

Wenn es um die Gestaltung von Arbeitsbedingungen geht, unterscheidet das Arbeitsrecht den ersten, zweiten und dritten Weg: 1. Weg: Der Arbeitgeber diktiert allein die Bedingungen. 2. Weg: Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände verhandeln Tarifverträge, die die Bedingungen festschreiben. 3. Weg: Arbeitgeber und Arbeitnehmer verhandeln in paritätisch besetzten Kommissionen AVR, die die Bedingungen regeln.

 

Was ist der Unterschied zwischen AVR und Tarifvertrag?

Inhaltlich ähneln die AVR also einem ganz normalen Tarifvertrag. Rechtlich haben sie diesen Status allerdings nicht. Ein Tarifvertrag wird zwischen einer Gewerkschaft als Arbeitnehmervertreter und den Arbeitgebervertretern ausgehandelt. Während der Verhandlungsphase darf die Gewerkschaft ihre Mitglieder im Unternehmen zum Streik aufrufen. Mitarbeiter von kirchlichen Unternehmen dürfen allerdings nicht streiken. Gewerkschaften fehlt hier also ein wichtiges Mittel im Arbeitskampf. Deshalb sind AVR rein rechtlich den Tarifverträgen der freien Wirtschaft nicht gleichgestellt.

Ausnahme für Streikverbot bei kirchlichen Dienstgebern

In einem Urteil aus dem Jahr 2012 hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass auch Mitarbeiter kirchlicher Dienstgeber unter einer bestimmten Bedingung streiken dürfen, um bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Das gilt aber nur, wenn die Gewerkschaften, die zum Streik aufrufen, nicht direkt in die AVR-Verhandlungen eingebunden sind. Verhandeln also Arbeitgeber und Arbeitnehmer direkt und räumen den Gewerkschaften nur beratende Funktion ein, dürfen diese mit einem Streikaufruf reagieren. Sind Sie selbst Verhandler, bleibt das Streikverbot bestehen (Az. 1 AZR 179/11).

Sie haben deshalb auch keine normative Wirkung. Das bedeutet: Sie wirken nicht automatisch für alle Mitarbeiter eines Unternehmens oder einer Branche, die Gewerkschaftsmitglieder sind. Stattdessen gelten die Arbeitsvertragsrichtlinien nur dann, wenn der Arbeitsvertrag explizit auf sie verweist.

Für wen gelten AVR?

Grundsätzlich sind die AVR als allgemeine Regelung gedacht, die für alle Mitarbeiter des betroffenen Unternehmens gelten sollen. Allerdings treten sie nur dann in Kraft, wenn Ihr Arbeitsvertrag eine sogenannte Bezugnahmeklausel enthält. Konkret bedeutet das: Im Arbeitsvertrag muss es einen Passus geben, der explizit erklärt, dass die jeweiligen AVR auf dieses konkrete Arbeitsverhältnis angewandt werden sollen. Mit der Unterschrift unter dem Arbeitsvertrag stimmen sowohl Sie selbst als auch Ihr Arbeitgeber den AVR zu.

Gut zu wissen: Auch wenn AVR keine Tarifverträge sind, sind sie für den Dienstgeber bindend. Ihr Chef kann also nach Abschluss des Arbeitsvertrags nicht einfach beschließen, dass er keine Lust mehr hat, Sie nach der Gehaltstabelle der Arbeitsvertragsrichtlinie zu bezahlen und Ihr Gehalt kürzen. Wenn er die AVR mit seiner Unterschrift unter Ihrem Arbeitsvertrag bestätigt, muss er sich anschließend auch an sie halten.

 

Wo finde ich die für mich geltenden AVR?

Normalerweise sollte Ihr Dienst- oder Arbeitgeber Ihnen die AVR aushändigen oder zumindest Einsicht gewähren – und zwar, bevor Sie den Arbeitsvertrag unterschreiben. Schließlich können Sie keinen Vertrag rechtlich bindend anerkennen, wie Sie es mit der Unterschrift tun, wenn Sie wesentliche Vertragsbestandteile gar nicht kennen.

In der Praxis läuft das aber leider oft anders ab und Sie erhalten den Arbeitsvertrag ohne weitere Erläuterungen oder eine eigene Ausfertigung der AVR. In diesem Fall sollten Sie zuerst Ihren Arbeitgeber bitten, eine Fassung nachzureichen. Alternativ können Sie auch an den Verband kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wenden. Der ist für die Zusammensetzung der Gremien zuständig, die die AVR aushandeln, und kann mit Informationen weiterhelfen.

Ihr künftiger Arbeitgeber weigert sich, Ihrem Arbeitsvertrag eine Bezugnahmeklausel hinzuzufügen, obwohl es für ihn gültige AVR gibt? Oder er verweigert Ihnen die Einsicht in die AVR vor Vertragsschluss? Dann können die selbstständigen Kooperationsanwälte der DAHAG eventuell helfen: Lassen Sie sich verschiedene Optionen aufzeigen, wie Sie die Situation lösen können, ohne gleich einen Rechtsstreit zu provozieren und Ihr neues Arbeitsverhältnis zu belasten. Gemeinsam mit erfahrenen Juristen finden Sie Ihren Weg, Ihr Recht durchzusetzen.


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