Schwerbehinderung im Arbeitsrecht (2025): Rechte und Pflichten behinderter und gleichgestellter Arbeitnehmer

Zum Schutz und zur Eingliederung behinderter Arbeitnehmer spricht der Gesetzgeber ihnen besondere Rechte zu, darunter Zusatzurlaub, Sonderkündigungsschutz und ein Mitspracherecht bei den Arbeitszeiten. Wie genau diese Rechte im Arbeitsalltag aussehen und welche Pflichten damit verbunden sind, erfahren Sie hier.

Autor:  Redaktion DAHAG Rechtsservices AG.

Schwerbehinderung im Arbeitsrecht: Das Wichtigste im Überblick

Wer gilt als (schwer)behindert oder gleichgestellt?

Ob eine Behinderung vorliegt, wird mithilfe des Grades der Behinderung (GdB) bestimmt. Ab einem GdB von 20 liegt eine Behinderung vor. Bei Menschen mit einem GdB ab 50 wird von einer Schwerbehinderung gesprochen. Die Unterscheidung ist im Arbeitsrecht dahin gehend wichtig, dass eine Schwerbehinderung mit weiterreichenden Rechten einhergeht. So steht beispielsweise nur schwerbehinderten Arbeitnehmer*innen ein gesetzlicher Zusatzurlaub zu.

Da jede Behinderung aber individuell ist, sieht das Sozialrecht die sogenannte Gleichstellung vor. Menschen mit einem GdB von 30 bis 40 fällt es häufig ebenso schwer wie Schwerbehinderten, einen Job zu finden oder diesen auch langfristig zu behalten. Ist dies der Fall, können Sie bei der Agentur für Arbeit Gleichstellung beantragen. Voraussetzung ist, dass Sie in Deutschland wohnen oder sich zumindest gewöhnlich hier aufhalten und hier beschäftigt sind. Die Arbeitsagentur entscheidet dann, ob Sie als gleichgestellt anerkannt werden. Gleichgestellte genießen viele der Rechte von Schwerbehinderten, aber nicht alle: So greift beispielsweise der Sonderkündigungsschutz, aber der gesetzliche Zusatzurlaub steht Ihnen nicht zu.

Vor der Einstellung: Welche Rechte haben behinderte Bewerber*innen?

Gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) darf niemand aufgrund einer Behinderung benachteiligt werden. Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wird dieser Grundsatz konkretisiert. In Bezug auf das Arbeitsrecht wird dort die Diskriminierung behinderter Arbeitnehmer*innen und Bewerber*innen vor allem in folgenden Situationen untersagt:

  • Bei Einstellung
  • Beim beruflichen Aufstieg
  • Während der Durchführung des Arbeitsverhältnisses
  • Bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Das bedeutet, dass Ihre Sonderrechte nicht erst mit Unterzeichnung des Arbeitsvertrags greifen, sondern dass Sie sich bereits während des Bewerbungsprozesses auf gewisse Rechte berufen können.

Unternehmen sind dazu verpflichtet, ausgeschriebene Stellen frühzeitig der Arbeitsagentur zu melden. Diese prüft daraufhin, ob der Arbeitsplatz auch von schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmer*innen besetzt werden kann (§ 164 Abs. 1 SGB IX). Kommt ein Unternehmen dieser Pflicht nicht nach, können sich für Sie Entschädigungsansprüche ergeben, wenn Sie sich auf die Stelle bewerben, aber abgelehnt werden. Dasselbe gilt, wenn Sie sich bei einem öffentlichen Arbeitgeber bewerben und trotz Ihrer Qualifikationen nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Öffentliche Arbeitgeber sind nämlich dazu verpflichtet, schwerbehinderte Bewerber*innen immer zum Bewerbungsgespräch einzuladen (§ 165 SGB IX). Diese Verpflichtung entfällt nur dann, wenn Sie als Bewerber*in ganz offensichtlich nicht über die nötigen Fertigkeiten und Qualifikationen verfügen (§ 165 Satz 3 SGB IX).

Im Vorstellungsgespräch gilt, dass Ihr potenzieller Chef Sie nicht nach Ihrer Behinderung befragen darf. Sollte er dies doch tun, haben Sie das sogenannte „Recht zur Lüge“. Eine nicht wahrheitsgemäße Antwort ist nicht mit negativen Konsequenzen für Sie verbunden.

Mehr Informationen dazu: Vorstellungsgespräch: Gibt es ein Recht zur Lüge?

Bekommen Sie den Job, darf Ihr Arbeitgeber Sie auch während der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses nicht fragen, ob eine Behinderung vorliegt. Erst nach Ablauf dieser Wartezeit ist die Frage zulässig. Der Grund dafür ist, dass Ihr Arbeitgeber dann ein berechtigtes Interesse daran hat, zu erfahren, ob er Ihnen Sonderrecht wie etwa Zusatzurlaub oder eine verkürzte Arbeitszeit einräumen muss (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Februar 2012, Az. 6 AZR 553/10).

Muss ich meinen Arbeitgeber über die Behinderung informieren?

Haben Sie Ihre Behinderung im Vorstellungsgespräch und während der Probezeit verschwiegen und spricht Ihr Arbeitgeber Sie auch danach nicht darauf an, gilt folgendes: Sie müssen Ihren Arbeitgeber grundsätzlich nicht von Ihrer Behinderung informieren.

Einige Arbeitnehmer*innen entschließen sich trotz erweiterter Rechte dafür, die Behinderung zu verschweigen. Als Grund wird häufig angegeben, dass keine Ungleichbehandlung gewünscht wird. Sie sollten sich in diesem Fall allerdings bewusst sein, dass dies vor allem im Falle einer Kündigung negative Konsequenzen für Sie haben kann.

Schwerbehindertenquote (2025): Welche Auflagen müssen Arbeitgeber erfüllen?

Um schwerbehinderten Menschen den Einstieg und die Teilhabe am Berufsleben zu erleichtern, sind Arbeitgeber dazu verpflichtet, eine bestimmte Schwerbehindertenquote zu erfüllen. So müssen Unternehmen mit mehr als 20 Arbeitsplätzen mindestens fünf Prozent davon mit schwerbehinderten Arbeitnehmer*innen besetzen. Sollte diese Quote nicht eingehalten werden, müssen Unternehmen eine sogenannte Ausgleichsabgabe in Höhe von 155 bis 815 Euro pro Monat und pro unbesetztem Arbeitsplatz zahlen. 

Diese Quote begründet allerdings nicht den Anspruch des einzelnen Bewerbers auf einen Arbeitsplatz. Das bedeutet: Bewerben Sie sich auf eine Stelle in einem Unternehmen, von dem Sie wissen, dass die Schwerbehindertenquote nicht erfüllt wird, können Sie sich nicht darauf berufen und einen Rechtsanspruch auf den ausgeschriebenen Job geltend machen.

Im bestehenden Arbeitsverhältnis: Welche allgemeinen Rechte haben Schwerbehinderte?

Eines der Grundrechte schwerbehinderter Arbeitnehmer*innen ist in § 164 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX verankert. Demnach haben Schwerbehinderte den Anspruch auf eine Tätigkeit, bei der Sie Ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Ein Arbeitgeber kann Ihnen daher keinen Job anbieten, für den Sie klar überqualifiziert sind, nur um die Schwerbehindertenquote des Unternehmens zu erfüllen und Strafzahlungen zu vermeiden.

Zusätzlich sind Arbeitgeber dazu verpflichtet, Schwerbehinderte bei Berufsbildungsmaßnahmen besonders zu berücksichtigen. Ebenso muss Ihr Chef dafür sorgen, dass Arbeitsplatz, -umfeld, -organisation und -zeit behindertengerecht gestaltet sind (§ 164 Abs. 4 Nr. 4,5 SGB IX). Nimmt Ihre Leistung im Laufe der Zeit ab, haben Sie das Recht auf einen Schonarbeitsplatz.

Die Regelungen sind eher allgemein gehalten. Das liegt daran, dass jede Behinderung eine andere Gestaltung des Arbeitsplatzes erfordert und sich die Anforderungen daher nur schwer vereinheitlichen lassen. Auch muss bedacht werden, dass der Arbeitgeber nur Maßnahmen ergreifen muss, die ihm zumutbar sind. Kann eine Stelle aufgrund betrieblicher Anforderungen beispielsweise nicht in Teilzeit ausgeübt werden, haben schwerbehinderte Arbeitnehmer*innen auch keinen Anspruch auf Arbeitszeitverkürzung.

Zusatzurlaub für schwerbehinderte Arbeitnehmer

Um die Gesundheit schwerbehinderter Arbeitnehmer*innen langfristig zu sichern, sieht der Gesetzgeber Zusatzurlaub vor. Dieser beträgt bei einer 5-Tage-Woche fünf volle Tage, also eine ganze Woche. Sind Sie nicht in Vollzeit angestellt, steht Ihnen ein anteiliger Zusatzurlaubsanspruch zu: Umfasst Ihre wöchentliche Arbeitszeit beispielsweise drei Tage, haben Sie ein Recht auf drei zusätzliche Tage.

Der Zusatzurlaub wird nicht auf den Mindesturlaub, sondern auf den vertraglich vereinbarten Urlaub angerechnet. Das bedeutet: Sieht Ihr Arbeitsvertrag einen Urlaubsanspruch von 25 Tagen pro Jahr vor, kann Ihr Arbeitgeber sich nicht darauf berufen, dass Sie ohnehin schon fünf Urlaubstage mehr haben, als Ihnen gemäß Bundesurlaubsgesetz zustehen würden. Sie hätten in diesem Fall einen Anspruch auf 30 Tage Urlaub. Der sogenannte Behindertenurlaub kann tarif- oder arbeitsvertraglich verlängert, aber nicht gekürzt werden.

Achtung:Der Zusatzurlaub steht nur schwerbehinderten Angestellten zu, nicht aber behinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmer*innen.

Recht auf Befreiung von Mehrarbeit

Gemäß § 124 SGB IX müssen Arbeitgeber schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Angestellte auf deren Wunsch hin von der Mehrarbeit befreien. Unter Mehrarbeit versteht sich hier die Arbeitszeit, die über die allgemeine gesetzliche Tagesarbeitszeit von acht Stunden hinausgeht. Das bedeutet: Haben Sie an einem Tag bereits acht Stunden gearbeitet, können Sie Überstunden verweigern, wenn Ihr Chef Sie dazu auffordert. Beträgt Ihre vertraglich vereinbarte Arbeitszeit aber weniger als acht Stunden, darf Ihr Arbeitgeber in dringenden Fällen durchaus das Ableisten von Überstunden von Ihnen verlangen – nur von der Mehrarbeit können Sie sich befreien lassen, nicht aber von Überstunden im Allgemeinen.

Gut zu wissen: Allgemeines Freistellungsverlangen

Wenn Sie sich allgemein von Mehrarbeit befreien lassen möchten, machen Sie Ihrem Arbeitgeber gegenüber am besten ein allgemeines Freistellungsverlangen geltend – und zwar in Schriftform. Seine Einwilligung oder eine schriftliche Bestätigung benötigen Sie zwar nicht, doch stehen Sie aufgrund des Schriftstücks bei Streitigkeiten auf der sicheren Seite.

Einen Anspruch auf die Befreiung von der Nachtarbeit haben schwerbehinderte Arbeitnehmer im Übrigen nicht. Auch eine 6-Tage-Woche muss abgeleistet werden, wenn der Arbeitsvertrag dies verlangt.

Recht auf Arbeitszeitverkürzung

Sollte Ihre Behinderung Ihnen die Ausübung Ihrer Tätigkeit innerhalb der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit unmöglich machen, haben schwerbehinderte oder gleichgestellte Arbeitnehmer*innen das Recht auf Arbeitszeitverkürzung. Sie können in diesem Fall problemlos Teilzeit bei Ihrem Chef beantragen, ohne auf Fristen oder andere Voraussetzungen zu achten. Auch sein Einverständnis ist für die verkürzte Arbeitszeit nicht nötig. Allerdings müssen Sie nachweisen können, dass die Art oder Schwere Ihrer Behinderung der Grund für die Arbeitszeitverkürzung ist. Dies kann beispielsweise durch ein ärztliches Attest erfolgen.

Gut zu wissen: Vorübergehend verkürzte Arbeitszeit

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass die verkürzte Arbeitszeit auch vorrübergehend eingefordert werden kann (BAG-Urteil vom 14. Oktober 2003, Az. 9 AZR 1000/03). Ist davon auszugehen, dass Ihr gesundheitlicher Zustand sich wieder verbessert, können Sie die Teilzeit auch für eine gewisse Dauer beantragen.

Welchen Sonderkündigungsschutz haben schwerbehinderte Arbeitnehmer*innen?

Schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Arbeitnehmer*innen sind zwar grundsätzlich nicht unkündbar, doch genießen sie einen besonderen Kündigungsschutz. Zu beachten ist allerdings, dass dieser erst nach einer Betriebszugehörigkeit von sechs Monaten einsetzt. Zuvor können Sie auch als schwerbehinderter oder gleichgestellter Arbeitnehmer*innen ohne die Nennung von Gründen entlassen werden.

Anders als bei schwangeren Angestellten, macht der Sonderkündigungsschutz von schwerbehinderten und gleichgestellten Arbeitnehmer*innen die ordentliche Kündigung nicht gänzlich unmöglich. Das bedeutet: Wenn Sie wiederholt oder auf gravierende Art und Weise gegen Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, kann Ihnen trotz Sonderkündigungsschutz eine verhaltensbedingte Kündigung ausgesprochen werden. Auch eine betriebsbedingte Kündigung ist grundsätzlich möglich. Der Unterschied ist allerdings, dass Ihr Chef gemäß § 168 SGB IX die Zustimmung des Integrationsamts benötigt, um Sie zu entlassen. Dieses prüft eingehend, ob die Kündigung in Zusammenhang mit Ihrer Behinderung steht oder nicht.

Wenn Ihr Arbeitgeber beabsichtigt Ihnen zu kündigen oder Sie die Kündigung bereits erhalten haben, gibt es mehrere mögliche Szenarien:

  • Ihr Arbeitgeber hat sich an das Integrationsamt gewandt und dieses hat der Kündigung nicht zugestimmt: Ihr Chef darf Ihnen nicht kündigen.
  • Ihr Arbeitgeber hat sich gar nicht erst an das Integrationsamt gewandt und Ihnen einfach so gekündigt: Die Kündigung ist unwirksam. Sie sind weiterhin angestellt.
  • Das Integrationsamt hat der Kündigung zugestimmt, doch Sie halten diese aus anderen Gründen für unwirksam: Sie sollten der Entscheidung des Integrationsamts widersprechen und gleichzeitig Kündigungsschutzklage erheben. Die Frist dafür beträgt drei Wochen ab Zugang der Kündigung.

Im Übrigen muss Ihr Arbeitgeber für eine wirksame Kündigung auch den Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung darüber informieren und die Gremien dazu anhören. Anders als beim Integrationsamt herrscht hier allerdings nur eine Informationspflicht – die Zustimmung der beiden Institutionen ist nicht nötig!

Was passiert, wenn die Behinderung zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht anerkannt war?

Ihr Sonderkündigungsschutz greift auch dann, wenn die Schwerbehinderung zum Zeitpunkt der Kündigung zwar objektiv vorhanden, aber noch nicht anerkannt war. Allerdings gilt dies nur dann, wenn Sie den Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung mindestens drei Wochen vor Kündigungszugang gestellt haben.

Was passiert, wenn ich den Arbeitgeber nicht über meine Behinderung informiert habe?

Haben Sie Ihrem Arbeitgeber die Behinderung verschwiegen, konnte dieser zum Zeitpunkt der Kündigung nicht wissen, dass Sie unter Sonderkündigungsschutz stehen und dass er zuvor das Integrationsamt hätte fragen müssen. Hier ist zwischen zwei Szenarien zu unterscheiden:

Ihr Arbeitgeber hat Sie nach der Behinderung gefragt, aber Sie haben gelogen.

Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Fall von 2012 entschieden, dass die bewusste Lüge die Kündigung wirksam macht. Fragt der Arbeitgeber explizit nach einer Behinderung und ist die Frage zulässig, weil sie erst nach Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit gestellt wurde, müssen Sie wahrheitsgemäß antworten. Tun Sie dies nicht und informieren Sie Ihren Chef erst nach Kündigungszugang von der Behinderung, ist der Sonderkündigungsschutz verwirkt. Die Kündigung ist dann wirksam (BAG-Urteil vom 16. Februar 2012, Az. 6 AZR 553/10).

Ihr Arbeitgeber hat Sie nicht nach der Behinderung gefragt und Sie haben das Thema nie selbst zur Sprache gebracht.

Wenn Ihr Arbeitgeber Sie nie nach einer Behinderung gefragt hat und Sie diese auch nicht von sich aus erwähnt haben, können Sie sich im Falle einer Kündigung dennoch auf Ihren Sonderkündigungsschutz berufen. Sie haben nach Zugang des Kündigungsschreibens drei Wochen Zeit, um Ihren Arbeitgeber von Ihrer Behinderung in Kenntnis zu setzen. Danach hat dieser die Wahl, ob er die Kündigung zurücknimmt oder ob er die Kündigung mit Zustimmung des Integrationsamts erneut aussprechen will.

Nutzen Sie die 3-Wochen-Frist nicht, haben Sie Ihren Anspruch auf Sonderkündigungsschutz verwirkt. Die Kündigung ist in diesem Fall auch ohne Zustimmung des Integrationsamts wirksam (BAG-Urteil vom 22. September 2016, Az. 2 AZR 700/15).


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